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28. September 2023

Fahrbericht Lucid Air: Schneller, weiter, teurer

Die Elektromobilität spült immer neue Autobauer auf den europäischen Markt. Nach den zahlreichen chinesischen Herstellern fährt nun eine weitere US-Marke vor, die es auf den hochpreisigen Sektor abgesehen hat: Lucid will mit seiner vollelektrischen Luxus-Limousine Air der hiesigen Premium-Phalanx Porsche Taycan, Mercedes-Benz EQS und BMW i7, aber auch Tesla Model S oder Nio ET7 in die Parade fahren. Im kommenden Jahr soll dann noch die Produktion eines SUV namens Gravity folgen. Und auch ein volumenträchtiges Mittelklasse-Modell ist bereits in Planung.

Doch zunächst mal muss der Start des Air gelingen. Und der ist ein Stromer der Superlative(n). Schon die Basisversion Pure leistet 358 kW (487 PS) und liefert mit bis zu 930 Newtonmeter Drehmoment Beschleunigungen wie in einem startenden Jet. Die stärkste Version Midnight Dream Edition entwickelt sogar 828 kW (1126 PS) und katapultiert den Viertürer mit schier unglaublichen 1200 Newtonmetern in 2,7 Sekunden zur Tempo-100-Marke. Stärker und schneller als der erste Bugatti Veyron. Und doch ist die knapp fünf Meter lange Luxuslimousine ein, wenn auch kostspieliges Alltagsauto, das vor allem mit Fahrkomfort, technischen Feinheiten sowie „revolutionärem Raumkonzept“ glänzt, wie Lucid-Entwicklungschef Eric Bach anpreist.

Der Diplom-Ingenieur aus Erlangen startete Anfang der 2000er-Jahre bei VW, bevor er von Januar 2012 bis März 2015 als Director of Engineering bei Tesla fungierte. Als dessen technischer Leiter Peter Rawlinson zu Lucid ging, das zu dem Zeitpunkt noch Atieva hieß und ein Zulieferer für Batterien und Antriebsstränge im Silicon Valley war, folgte Bach seinem ehemaligen Chef. 2016 benannte sich das Unternehmen um und präsentierte kurze Zeit später den Lucid Air, der sowohl von der Expertise des bisherigen Unternehmens wie auch der abgeworbenen Ingenieure profitieren konnte.

Denn „wir haben die EV-„Skateboard“-Plattform inklusive Antriebsstrang und Schlüsselelemente komplett hausintern entwickelt“, erzählt Bach. Vom Batterie-Packaging über die Elektromotoren und Getriebe, Steuerungselektronik und On-Boad-Charger, von Bach „Wunderbox“ genannt, bis hin zur Software wurde alles in Eigenregie entworfen, um eine kompakte, leichte und effiziente Antriebseinheit zu schaffen. Deren Verhältnis von Leistung, Gewicht und Volumen gehört zu „dem Besten auf diesem Planeten“, schwärmt Bach, der als Senior Vice President, Product und Chief Engineer Teil des Führungsteams von Lucid Motors ist. Selbst die Kupferdrahtwicklungen in den Statoren der E-Maschine wurden grundlegend neu konzipiert und patentiert. Das gilt auch für die Scheinwerfer-Sehschlitze, die sich in Summe aus 9000 Mini-Dia-Projektoren zusammensetzen und die besonders beim Laden mit einem pendelnden Lauflicht einen futuristischen Touch ausstrahlen – das sprechende Auto K.I.T.T. aus der Kult-Fernsehserie „Knight Rider“ lässt grüßen.

„Das ganze Auto steckt voller Patente“, sagt Bach und verrät, dass Aston Martin ihr erstes Elektroauto auf der Plattform von Lucid aufbauen wollen. Die vielen Eigenentwicklungen hatten aber nicht nur den Zweck, möglichst unabhängig sein zu wollen. Die Idee dahinter war vor allem „effektiver und besser zu sein als der Wettbewerb im Luxussegment“, so Bach. Übrigens auch besser als der berühmte Nachbar aus Palo Alto, der seine Zentrale 2021 bekanntlich aus steuerlichen Gründen nach Austin, Texas, verlegt hatte: „Wir kommen ja fast alle von Tesla. Deshalb wissen wir auch, wie es besser geht.“

Da ist was dran. Denn wer sich in den im Windkanal gerundete Luxusliner mit dem zurzeit weltbesten Aerodynamik-Wert von cW 0,197 setzt, sieht und spürt sofort die Unterschiede zum kalifornischen Elektro-Pionier. Die Materialien wirken edel und hochwertig, mit leicht skandinavisch anmutendem Purismus. Ein wahrer Hingucker im Wortsinne ist die Frontscheibe, die nahtlos in Dach übergeht. Das Cockpit-Layout mit dem frei schwebenden, gebogenem Kombiinstrument ist durchdacht und übersichtlich. Wie bei Hyundai und Kia erscheint darin beim Blinken ein kleines Monitorbild des jeweiligen Außenspiegels. In der Mittelkonsole prangt der fast schon obligatorische Großbildmonitor fürs Infotainment, dessen Funktionen und Bedienung allerdings etwas Übung bedürfen. Auf Fingertipp klappt der auch nach oben und gibt dahinter ein zusätzliches Staufach für automobilen Krimskrams frei. Es gibt vier verschiedene Themenwelten für die Ausstattungen, die zumindest dem Namen nach mit Mojave, Tahoe oder Santa Cruz die kalifornische Herkunft zitieren sollen.

Im Kontrast dazu wirkt, ähnlich wie bei Tesla, aber auch im Mercedes EQS, der allzu schlichte Lenkstockhebel für die Fahrfunktionen. Wie bei der US-Konkurrenz lassen sich Lenkrad und Außenspiegel auch nur über das Menü einstellen. Auch fehlen einige Oberklasse-Standards wie ein Head-up-Display oder Massagefunktionen für die Sitze. Dafür dürfen sich dank 2,96 Meter Radstand die Passagiere auf den Rücksitzen über eine verblüffend große Beinfreiheit freuen. Auch der Kofferraum dahinter fasst anständige 627 Liter, die trotz der umlaufend öffnenden Klappe durch die tiefe und schmale Form jedoch etwas knifflig zu beladen sind. Spektakulärer dagegen der 283 Liter große „Frunk“ unter der Fronthaube, in dem ganz locker ein großer Urlaubskoffer plus Kabelage fürs Laden verschwindet.

Die Superlative setzen sich unterwegs fort. Angeboten wird der Lucid Air in Deutschland vorerst in vier Varianten, angetrieben jeweils von zwei Elektromotoren und über alle vier Räder: als Pure mit 358 kW (487 PS), als Touring mit 462 kW (629 PS), als Grand Touring mit 611 kW (830 PS) und die eingangs erwähnte Dream Edition mit 828 kW (1126 PS). Die beiden Topmodelle arbeiten mit 924 Volt Betriebsspannung, mit dem an DC-Ladesäulen zumindest zeitweise mit mehr als 300 kW das derzeit höchste Ladetempo aller Serien-Elektroautos erreicht wird. Pure und Touring fahren mit einem 700-Volt-Bordnetz und einer 92 kWh-Batterie, die sie nach WLTP-Norm und mit 19-Zoll-Bereifung 725 Kilometer weit bringen soll. Die Energiespeicher der Dream Edition und des Grand Touring fassen 112 kWh und soll mit einer Füllung für 799 respektive 839 Kilometer Reichweite gut sein.

Beim Fahren selbst sind diese Unterschiede kaum zu spüren. Bei den zur Verfügung gestellten Varianten sind Power und Durchzug in jeder Situation mehr als ausreichend vorhanden, ob der 2,36 Tonnen schwere Stromer nun in 4,0 (Pure), in 3,6 (Touring) oder 3,2 Sekunden (Grand Tour) auf Tempo 100 stürmt. Was allerdings auffällt ist, zumindest bei urbaner Schleichfahrt und auch darüber hinaus, der verhältnismäßig geräuschvolle Singsang der E-Maschine. Auch die starke Bremswirkung der Rekuperation, die schon im Standardmodus sehr schnell und abrupt einsetzt und per Touchfeld nur noch weiter verstärkt werden kann, ist gewöhnungsbedürftig. Ein Ausrollen oder Segeln ist nicht vorgesehen, sodass der rechte Fuß immer auf den Pedal bleiben muss.

Fahrwerk und Lenkung sind sehr harmonisch abgestimmt. Ohne Luftfederung, dafür aber mit nahezu ausgeglichener Gewichtsverteilung und adaptiven Dämpfern ausgestattet, ist das üppige Gewicht weder auf schwerem Geläuf noch bei dynamischer Kurverei zu spüren. Die Fahrstabilität bleibt trotz gewaltigem Drehmoment-Punch ausgezeichnet, die Lenkung ist direkt, das Handling sehr flüssig und neutral. So wird der Lucid Air zum sportlichen Gleiter.

Womit der Lucid Air sich messen will, wird spätestens auch bei den Preisen deutlich. Unter 109.000 Euro ist der „kleinste“ Lucid Air nicht zu haben. Stufenweise geht’s dann weiter bis zur ganz in schwarz lackierten Midnight Dream Edition für 218.000 Euro. An Selbstbewusstsein mangelt es dem Premium-Neuling jedenfalls nicht. 

Daten Lucid Air Grand Touring

Länge x Breite x Höhe (m): 4,98 x 1,94 x 1,41
Radstand (m): 2,96
Antrieb: 2 Elektromotoren, AWD, 1-Gang-Automatik
Leistung: 611 kW / 830 PS
Max. Drehmoment: 1200 Nm
Höchstgeschwindigkeit: 270km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 3,2 Sek.
WLTP-Durchschnittsverbrauch: 4,7 Liter (kWh)
Batteriekapazität: 112 kWh
WLTP-Reichweite (19-Zoll-Räder): 839 km
Leergewicht / Zuladung: min. 2360 kg / max. 412 kg
Kofferraumvolumen: 910 (627 hinten/283 vorn) – 1835 Liter
Max. Anhängelast: k.A.
Basispreis: 159.000 Euro
Testwagenpreis: 174.500 Euro

(Quelle: Frank Wald, cen)

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