12. Mai 2024
Unterwegs mit dem VW ID 7 in seiner Heimat an der Waterkant
Schon von außen vermittelt der ID 7 mit einer Länge, die bis auf ein paar Fingerbreit an der Fünf-Meter-Grenze kratzt und auch in puncto Radstand keinen Geiz erkennen lässt, den Eindruck eines komfortablen Reisewagens. Sein Design verbindet gleichzeitig Eleganz mit Kraft und Dynamik und hält innen was es außen verspricht: viel Platz für Beine, Kopf und Körper. Dabei erfüllen die ergonomisch günstig geformten Sitze vorn wie hinten und links wie rechts das, was die Kundschaft von einem Vertreter der oberen Mittelklasse erwarten darf: vernünftigen Seitenhalt selbst in flott gefahrenen Kurven und Bequemlichkeit auf längeren Touren.
Entscheidende Auswahlkriterien für ein batterieelektrisch angetriebenes Auto sind dessen Reichweite und die Aufenthaltsdauer an der Stromtankstelle bis die Batterie ihre werksseitig empfohlene Ladung von 80 Prozent erreicht hat. Der erste Stopp bei unserer Reise gen Norden fiel für den Wagen recht günstig aus. Es verstrich nur eine knappe halbe Stunde auf dem Autohof Legden an der A 31 (vulgo: Ostfriesenspieß), bis 52 kWh für 26,66 Euro den Besitzer gewechselt hatten. Zuvor hatte das Fahrzeug dank eines seiner Assistenzsysteme jede Geschwindigkeitsbegrenzung automatisch eingehalten und war bei freier Autobahnfahrt nie schneller als mit der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h unterwegs gewesen.
Begegnung an der Ampel
Was haben der Journalist Henri Nannen, der Komiker Otto Waalkes und der Volkswagen ID 7 gemeinsam? Ganz einfach. Sie kommen samt und sonders aus Emden. Nannen, der Erfinder, langjährige Chefredakteur des Magazins „Stern“ und leidenschaftliche Sammler zeitgenössischer Kunst wurde hier geboren und gründete zusammen mit seiner Frau 1986 die Emder Kunsthalle (nicht Emdener), die inzwischen zu den bedeutendsten Kunstmuseen im Nordwesten Deutschlands zählt. Auch Witzbold und Berufs-Ostfriese Waalkes erblickte in Emden das Licht der Welt und bereichert in seiner Heimatstadt die Kulturszene mit schrägem Humor im „Otto Huus“. Und als letzter im Triumvirat stammt auch der Volkswagen ID 7 aus der ostfriesischen Stadt.
Das dortige Volkswagen-Werk begann 1964 als Produktionsstätte für den Käfer und wurde ab 2020 als erster niedersächsischer Standort für die Produktion von E-Fahrzeugen umgebaut. Seit Mai 2022 läuft hier der ID 4 vom Band. Im Sommer 2023 folgte der ID 7 und in diesem Jahr das dritte vollelektrische Modell, der ID 7 Tourer. Volkswagen in Emden ist der größte industrielle Arbeitgeber westlich von Bremen und nördlich des Ruhrgebiets und beschäftigt rund 8000 Menschen, die im vergangenen Jahr etwa 180.000 Fahrzeuge produzierten.
Wenn ein neues Auto noch nicht allzu lange auf dem Markt ist, erregt es Aufsehen. Das ist normal. Beim Strombunkern an diversen Ladesäulen und während Pausen auf Parkplätzen konnten wir uns deshalb über mangelnden Gesprächsstoff mit wildfremden Menschen nicht beklagen. Was kostet er („viel“), wie fährt er („prima“) und wann gibt es ihn als Kombi („der Vorverkauf für den Tourer hat schon im Februar begonnen“) wollten die meisten wissen. Einer von ihnen hielt abends um 17.30 Uhr mit breitem Grinsen und heruntergefahrener Seitenscheibe neben uns an einer Ampel in Emden und warf uns ein herzliches „Moin“ entgegen. Auf unseren Testwagen zeigend gab er sich mit den Worten „ein paar von denen habe ich selbst gebaut“ als VW-Werksangehöriger zu erkennen, winkte und brauste davon...
Es war Sonntag, und das VW-Werk an der Niedersachsenstraße schlief. Wir genügten uns deshalb mit einem Besuch am Haupttor, bevor wir zuerst einen Blick in die Emder Kunsthalle mit Henri Nannens bedeutender Kunstsammlung mit Gemälden und Skulpturen deutscher Expressionisten warfen. Danach stand ein kurzer Besuch im Otto Huus mit einer Zeitreise durch das Leben des Komikers, seine Filme und Auszeichnungen auf dem Programm.
Wo Boßeln zum Breitensport gehört
Am nächsten Tag gehörten dem ID 7 bei der Fahrt in Richtung Butjadingen je zur einen Hälfte Teile der Autobahnen A 31 und A 28, zur anderen ein längeres Stück Landstraße. Hier überraschte der angesichts seiner Außenmaße stattliche Wagen mit erstaunlicher Beweglichkeit. Seine präzise Lenkung ließ weder das Gefühl für die Fahrbahn vermissen, noch sich von recht optimistisch genommenen Kurven nennenswert beeindrucken. Die sind allerdings zugegebener Maßen in Ostfriesland eher seltener vorhanden.
Lange Geraden überwiegen eher, wie gemacht für den Friesensport Boßeln, der bisweilen dem Autoverkehr in die Quere kommt. Hin und wieder weisen am Straßenrand Schilder darauf hin, dass mancherorts eine – ganz und gar nicht ruhige – Kugel geschoben wird. Denn bei ihrem Volkssport versuchen die Ostfriesen, eine Kugel mit wenigen Würfen über eine festgelegte Strecke zu werfen, was meist auf öffentlichen Straßen und befestigten Wegen als Mannschaftssportart geschieht. Dort galt es dann, sich möglichst schnell aus dem Staub zu machen.
Konventionell angetriebene Limousinen schneiden in puncto Beschleunigung gegenüber der elektrischen Konkurrenz naturgemäß schlechter ab. So zeigte auch der ID 7 beim Überholen oder beim Start an der Ampel den anderen mit seinen 210 kW (286 PS) meist auf Anhieb die Rücklichter. Ein Sportwagen ist er freilich nicht, und das will er auch nicht sein. Auf der Langstrecke kommt es mehr auf Komfort und Bequemlichkeit an. Zudem drängt sich bei elektrisch-leiser Fahrweise der Gedanke auf: „In der Ruhe liegt die Kraft.“
Im Nordseebad und kleinen Fischerort Fedderwardersiel mit seinem Kutterhafen war der nächste Stopp geplant. Hier sind die Fischer, die bei Flut hinaus aufs Meer schippern, auf den Fang von Granat spezialisiert. Granat hat nichts mit Waffen zu tun. So nennen die Butjenter (Butjadinger) ihre Nordsee-Krabben. Inzwischen freilich kann einem bei den aktuellen Preisen für die köstlichen Langschwanzkrebse der Appetit vergehen. Für ausgepultes Krabbenfleisch müssen Interessenten mittlerweile rund 100 Euro pro Kilo auf den Tisch legen. Schuld seien die Inflation, der teure Diesel für die Kutter und die hohe Nachfrage, heißt es an der Waterkant. In der Hauptsache jedoch dürfte die Preisexplosion an der Überfischung der Schalentiere liegen.
Drittes Ziel: Die Sehenswürdigkeiten von Bremerhaven
Zwischen der Halbinsel Butjadingen und Bremerhaven fließt die Weser. Die lässt sich entweder in einer knappen Viertelstunde von Nordenham-Blexen aus mit der Autofähre über- oder etwas weiter südlich auf der Bundesstraße 437 durch den Wesertunnel unterqueren, was jedoch einen Zeit raubenden Umweg bedeutet. Wir wählten den Weg auf dem Wasser und befanden uns kurz nach dem Landgang auf der anderen Seite in unmittelbarer Nähe jener Attraktionen, für die sich ein Besuch in der Hafenstadt zu jeder Jahreszeit lohnt.
Seltsamerweise wird Bremerhaven von Besuchern oft als uninteressant empfunden – dabei hat die Stadt durchaus einiges zu bieten. So zum Beispiel
- das Deutsche Schifffahrtsmuseum mit über 500 Schiffen und Schiffsmodellen in einen großen Gebäude, einem Freilichtmuseum und einem eigenen Museumshafen.
- das Deutsche Auswandererhaus als größtes europäisches Erlebnismuseum zum Thema Aus- und Einwanderung. In den Datenbanken des Auswandererhauses kann man Familienforschung betreiben und nach ausgewanderten Vorfahren suchen.
und
- das Klimahaus, das exakt auf dem 8. östlichen Breitengrad liegt. Hier können sich die Gäste auf eine virtuelle Weltreise rund um den Globus begeben: Vom wechselhaften Klima Norddeutschlands in die klirrende Kälte der Antarktis bis zu den paradiesischen Wetterverhältnisse der Südsee.
Keinesfalls zu vergessen ist das Autoterminal im Überseehafen. Es mit seinen jährlich rund zwei Millionen umgeschlagenen Neuwagen als einer der größten Autohäfen der Welt. Jedes Jahr laufen mehr als 1000 Ozeanriesen voller Fahrzeuge das Terminal an. Auf dem Gelände finden 70.000 Pkw Platz, teils auf Freiflächen, teils in Parkhäusern. Wer diesen Teil des Hafens besichtigen will, darf das aus Sicherheitsgründen nicht alleine, sondern ist auf den Hafenbus angewiesen. Eine Tour mit ihm startet und endet im historischen Teil des Bremerhavener Fischereihafens mit seinen Restaurants, Cafés, Bistros, Kneipen und maritimen Läden.
Hier endete auch unsere Tour mit dem VW ID 7 an die Waterkant, und es galt – nachdem wir uns mit Räucherfisch für die Lieben daheim eingedeckt hatten – Bilanz zu ziehen. Gab es etwas zu meckern? Kaum. Angesichts seiner Größe und seines Gewichts ist der große Volkswagen ein sparsames Auto. Dass Reichweitenangaben nach WLTP (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedures = Weltweit einheitliche Tests leichter Fahrzeuge) aufgrund realitätsfremder Prüfvorschriften danebenliegen, dürfte sich längst herumgesprochen haben. Die Division „Akkukapazität geteilt durch den Verbrauch entspricht der Reichweite“ ist nicht mehr als eine Milchmädchenrechnung. Der Realität ist mit der Faustregel näher zu kommen, dass bei einem Elektroauto der Verbrauch gegenüber den WLTP-Angaben im Durchschnitt mindestens 20 Prozent höher und die Reichweite entsprechend niedriger ist. Im ID 7 zeigten zum Beispiel die Instrumente bei 80-prozentiger Ladung der Batterie eine Reichweite von rund 300 Kilometern und bei voller Ladung von 400 Kilometern an. Laut WLTP hätten es über 600 Kilometer sein sollen.
Ärgerlich auch die Angaben auf den Ladesäulen. Wo 300 kW draufsteht , sind noch längst nicht 300 kW drin. Der Papierform nach müsste der ID 7 bis zu 175 kW Ladeleistung aufnehmen können. Wir brachten es aber nur ein einziges Mal auf knapp 100 kW, mehr wollte die Schnellladesäule nicht hergeben. Doch das liegt nicht in der Verantwortung von VW.
Mit dem VW ID 7 legten wir rund 1300 Kilometer auf Autobahnen, Landstraßen und im Stadtverkehr zurück. In dieser Zeit verbrachten wir viereinhalb Stunden an Ladesäulen, die insgesamt 283,24 kWh Strom in die Akkus zum Preis von zusammen 187,99 Euro schickten. Das entsprach einem durchschnittlichen Verbrauch von 21,7 kWh auf 100 Kilometer, bei Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn kletterte der Durst nach Strom auf Werte zwischen 23 kWh und 26 kWh. Im Vergleich zu einem Benziner schnitt der Stromer damit ungünstiger ab. Bei einem Verbrauch von sieben Litern Super E10 auf 100 Kilometer, was für einen Wagen mit Verbrennungsmotor in der ID 7-Größenordnung der Realität nahe kommt, hätten zwei Tankstopps von zehn Minuten inklusive Gang zur Kasse gereicht. Dort hätte das dann zu Preisen von 1,80 Euro pro Liter 163 Euro gekostet – 25 Euro weniger als beim Stromer.
Über den Preis des mit Extras im Wert von 13.235 Euro bestens versorgten Wagen wollen wir gar nicht erst reden.
Daten VW ID 7
Länge x Breite x Höhe (m): 4,96 x 1,86 x 1,54
Radstand (m): 2,97
Wendekreis (m): 10,9
Antrieb: Elektro, RWD, Aut.
Leistung: 210 kW / 286 PS
Max. Drehmoment: 545 Nm
Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 6,5 Sek.
Reichweite: 621 km (WLTP)
WLTP-Durchschnittsverbrauch: 16,3 kWh/100 km
CO2-Emissionen: 0 g/km (WLTP)
Leergewicht (EU)/ Zuladung: min. 2.172 kg / max. 458 kg
Kofferraumvolumen: 532–1586 Liter
Max. Anhängelast: 1000 kg
Basispreis: 56.995 Euro
Testwagenpreis: 70.230 Euro
(Quelle: Hans-Robert Richarz, cen)