29. Januar 2022
Praxistest Kia EV6: Erschwinglicher Langstrecken-Stromer
Wer auf der Suche nach alternativen Antrieben ist, wird bei Kia schnell fündig. So bietet die koreanische Hyundai-Tochter neben Hybriden und Plug-in-Hybriden auch eine Reihe an rein elektrisch betriebenen Modellen an. Jüngster Zugang unter den Stromern ist der neue EV6. Der erste Kia auf der neuen rein elektrischen E-GMP-Plattform kann mit seiner 800 Volt-Ladetechnik in nur 20 Minuten Strom für rund 400 Kilometer bunkern und kommt mit einer vollen Ladung bis zu 528 Kilometer weit. Daher eignet er sich auch für die Langstrecke und spielt auf dem Niveau eines Porsche Taycan oder den Schnelllader-Modellen aus dem Tesla-Konzern ganz weit oben mit – nur nicht beim Preis.
Denn mit gerade einmal 44.990 Euro ist der Kia um einiges günstiger als seine ebenfalls eilig ladende Konkurrenz. Zieht man noch die Umweltprämie von insgesamt 9750 Euro ab, wechseln nur noch 35.240 Euro den Ladentisch. Das macht den EV6 sehr erschwinglich.
Angeboten wird der coupéförmig anmutende Koreaner, der übrigens mit dem Schwestermodell Hyundai Ioniq 5 baugleich ist, in verschiedenen Ausführungen. Während das günstige Basismodell mit einem 125 kW (170 PS) starken Elektromotor im Heck sowie einem 58 kWh Akku startet, liegt der Preis für unseren Testwagen bei 52.890 Euro, beziehungsweise bei 43.140 nach Abzug des Umweltbonus. Im Upgrade enthalten sind neben einem serienmäßigen Allradantrieb mit gleich zwei E-Motoren außerdem noch eine Leistungssteigerung auf 239 kW (325 PS) sowie ein größeres Speicherdepot mit einer Kapazität von 77,4 Kilowattstunden. Die maximale Reichweite der kräftigeren Variante liegt bei 506 Kilometern.
Um es vorwegzunehmen: Diesen Wert haben wir bei unserem Wintertest nicht geschafft, da bekanntermaßen die eisigen Temperaturen am Aktionsradius der Batterien zehren. Im Schnitt lag die Reichweite unseres Testwagens zwischen 350 und 390 Kilometern, was aber aufgrund der frostigen Jahreszeit noch in Ordnung und völlig normal ist. Unter solchen widrigen Bedingungen leiden die Elektrofahrzeuge von anderen Mitbewerbern genauso und kommen ebenfalls nicht viel weiter.
In seinem Innern präsentiert sich der Kia nachhaltig. Die bequemen Sitze sind mit tierfreiem Leder bespannt und das Cockpit trägt Dekorelemente aus recycelten PET-Flaschen. Das schont nicht nur die Ressourcen, sondern sieht zudem recht schick aus. Der Fahrer blickt auf zwei hochauflösende 12,3 Zoll-Bildschirme, die zu einer optischen Einheit zusammengefasst sind. Während der linke Monitor alle wichtigen Informationen wie Geschwindigkeit und Restreichweite darstellt, dient der rechte für das Multimediasystem.
Schön, dass Kia hierbei noch an genügend Schalter gedacht hat und die Funktionen, wie inzwischen oftmals üblich, nicht ins Display verfrachtet hat. Bedient wird das Infotainment gewissermaßen über ein virtuelles Bedienfeld, dass sich eine Etage darunter befindet. Dabei ändern sich die einzelnen Funktionen per Knopfdruck, entweder für Radio oder Navigation oder um die Klimaeinstellungen aufzurufen. An die logisch aufgebaute Unterteilung hat man sich schnell gewöhnt und die Handhabung erweist sich im Alltag als einfach.
Außerdem bietet der Koreaner viel Platz für die Passagiere und rund um die scheinbar freischwebende Mittelkonsole hat der Koreaner reichlich Ablagemöglichkeiten. Der Kofferraum bietet 490 Liter Stauraum fürs Gepäck und fällt aufgrund der im Fahrzeugboden positionierten Akkus recht flach aus, ist aber durch Umlegen der Rücksitzlehnen auf 1300 Liter erweiterbar. Die geringe Zuladung von nur 440 Kilo ist für einen vollwertigen Fünfsitzer allerdings etwas zu wenig. Ein weiteres kleines Staufach befindet sich unter der vorderen Motorhaube. In dem kleinen „Frunk“, der bei unserem Allradler gute 20 Liter fasst, kann mühelos das Ladekabel oder Kleinkram verstaut werden. Bei der heckgetriebenen Variante des EV6 gibt es sogar mit 52 Litern etwas mehr Stauraum.
Der EV6 setzt sich mit teils wegweisenden Assistenzsystemen in Szene. Zum reichhaltigen Sicherheitsangebot zählt unter anderem auch ein besonderer Toter-Winkel-Warner: Setzt der Fahrer zum Spurwechsel den Blinker, übertragen Kameras in den Außenspiegeln das Bild auf das digitale Kombiinstrument. So lässt es sich wesentlich einfacher erkennen, ob sich gerade fremde Fahrzeuge im toten Winkel befinden. Enge Parklücken sind für den Koreaner ebenfalls kein Problem, denn der Kia rollt mittels Fernbedienung ganz galant in sie hinein und natürlich auch wieder hinaus – ohne dass der Fahrer hinterm Lenkrad sitzen muss.
Dank dem sogenannten Highway Driving Assist fährt der EV6 zudem teilautonom, beispielsweise auf der Autobahn. Aktiviert der Fahrer den adaptiven Tempomat, hält der Kia automatisch den Abstand zum Vordermann ein und wechselt nach dem Betätigen des Blinkerhebels automatisch die Spur. Das funktioniert in der Praxis prima. Bleibt der Fahrer hingegen in seiner Fahrspur, verliert der übereifrig agierende Lenkassistent die Orientierung und eiert permanent zwischen den Fahrbahnmarkierungen hin und her wie ein Leichtmatrose auf Landgang. Dabei kann es empfindlichen Gemütern auch schon mal übel werden. Hier sollte Kia mit einem Software-Update nochmals nachbessern. Genauso wie bei der Sprachsteuerung, die Kommandos oftmals nicht versteht und anschließend darum bittet, die Fenster zu schließen, obwohl sie im leise surrenden Kia nicht geöffnet wurden.
Keine Abstriche müssen dagegen in Sachen Fahrspaß gemacht werden. Trotz seines hohen Gewichts von knapp 2,1 Tonnen fährt sich Kias Stromer ausgesprochen handlich. Die Lenkung folgt präzise ihrem auferlegten Kurs und das Fahrwerk verfügt trotz großer 19 Zoll Räder über einen angenehmen Abrollkomfort. Bei Bedarf geht´s mit dem Kia auch richtig temperamentvoll zur Sache. Die Kraftentfaltung ist schon enorm, da das gewaltige Drehmoment von 605 Nm der beiden Elektromotoren schon ab der ersten Umdrehung zur Verfügung steht. Bei Bedarf sprintet der Allrad-EV6 in nur 5,2 Sekunden auf Tempo und beindruckt mit einem vehementen Durchzugsvermögen.
Die Höchstgeschwindigkeit ist dagegen auf 185 km/h begrenzt. Die Bordelektronik setzt den schützenden Riegel vor, um die elektrische Reichweite nicht unnötig weiter zu strapazieren. Aber was verbraucht der Kia im Schnitt? Die Koreaner geben 17,2 kWh pro 100 gefahren Kilometer an. Bei unserem Test unter vorherrschend kalten Temperaturen und ruhiger Fahrweise waren es dagegen 19,8 kWh. Was einen aber auch nicht wirklich verwundert, da die vielen elektrischen Verbraucher wie Klimaanlage, Licht und Gebläse oder Sitz- und Lenkradheizungen nicht nur die Reichweite negativ beeinflussen, sondern auch den Verbrauch.
Daten Kia EV6 AWD
Länge x Breite x Höhe (m): 4,68 x 1,88 x 1,55
Radstand (m): 2,90
Antrieb: Zwei Permanentmagnet Synchronmaschinen, Eingang-Getriebe, Allradantrieb
Leistung: 239 kW/325 PS
Max. Drehmoment: 605 Nm
Batterie: 800-Volt-Lithiumionenbatterie, 77,4 kWh
Maximale Ladeleistung: 240 kW
Ladezeit mit 350 kW Gleichstrom (DC): 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent
Ladezeit mit 50 kW Gleichstrom (DC): 73 Minuten von 10 auf 80 Prozent
Ladezeit mit 11 kW Wechselstrom (AC): 7,2 Stunden / von 10 auf 100 Prozent
Höchstgeschwindigkeit: 185 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 5,2 Sek.
Reichweite: 506 km
Durchschnittsverbrauch: 17,2 kWh
Testverbrauch: 19,8 kWh
Effizienzklasse: A+++
CO2-Emissionen: 0
Leergewicht / Zuladung: min. 2090 kg / max. 440 kg
Kofferraumvolumen: 490–1300 Liter
Wendekreis (m): 11,6
Reifen: 235/55 R19
Basispreis: 52.890 Euro
(Quelle: Auto-Medienportal ampnet)