22. Juni 2021
Fahrbericht VW ID 4 GTX: Dribbel-SUV mit Sport-Manager
VW führt seine sportliche Ahnenreihe ins Elektrozeitalter. Kurz nach der Einführung des E-SUV ID 4 schieben die Wolfsburger im Anlehnung an ihre GTI-Tradition eine sportliche Variante mit dem Kürzel GTX nach. Das neue Topmodell der Baureihe kombiniert den bekannten E-Motor mit 150 kW an der Hinterachse mit einer 80 kW-Asynchronmaschine vorn, was zusammen 220 kW (299 PS) Systemleistung und einen Allradantrieb ergibt. Zusammen mit Sportfahrwerk, Progressivlenkung und variablen Dämpfern soll das GTI-Feeling ins kompakte Elektro-SUV einziehen. Großen Anteil daran hat der selbst entwickelte Fahrdynamikmanager. Wieviel GTI steckt also im GTX?
Wenn es nach Nando Laumanns geht, eine ganze Menge. Der „Funktionsentwickler im Bereich Fahrdynamikregelsysteme“ hat die komplizierte Steuerungssoftware, die erstmals im Golf 8 und seinen sportlichen Derivaten GTI und Golf R eingesetzt wurde, federführend entwickelt. „Sein“ Fahrdynamikmanager (FDM) koordiniert und kommandiert in Sekundenbruchteilen die unterschiedlichen Regelsysteme und deren Aktuatoren, vom elektronischen Stabilitätsprogramm ESC über die variablen Dämpfer (DCC) und Vorderachssperren (XDS+) bis zum Torque Splitter für die radselektive Momentenverteilung des Allradantiebs. Durch diese Vorsteuerung „muss ich nicht jedes Einzelsystem abstimmen, sondern kann die zentrale Berechnung der Sollbewegung dazu nutzen, das Auto abzustimmen“, sagt Laumanns.
Im Gegensatz zur klassischen Regelungslogik, die Ist- mit Sollwerten vergleicht und erst bei Abweichung reagiert, nimmt der FDM dabei die Lenkbewegung als Eingangssignal, um zu antizipieren, was das Auto machen soll. „Damit teilt der Fahrer mit, was er machen möchte, der FDM interpretiert und stellt die vorhandenen Fahrdynamikregelsysteme entsprechend ein“, erklärt der Entwickler. Die antizipierten Stellkommandos seien dabei zu 95 Prozent stimmig und Abweichungen, etwa durch andere Beladung oder plötzliche Reibwertänderung, würden dann regeltechnisch angepasst werden. „Für den Kunden ergibt sich, querdynamisch betrachtet, ein sehr eingängiges, verständliches, agiles und präzises Fahrverhalten“, resümiert Laumanns.
Recht hat er. Unser Testwagen in Vollausstattung reagiert auf den ebenso geschwungenen wie welligen Landstraßen des Harzes, wohin VW zur ersten Ausfahrt geladen hatte, bei konstanter Fahrt gutmütig und unauffällig. Der Geradeauslauf ist vorbildlich, die präzise Lenkung korrigiert kleinste Kursabweichungen, der Abrollkomfort trotz der großen 21-Zoll-Räder ist recht ordentlich. Nur auf wirklich beschädigtem Geläuf mit dicken Bitumenflicken und Brüchen im Asphalt poltert es vernehmlich im Untergrund. Ganz anders das Bild, wenn man die serienmäßige Fahrprofilauswahl auf Sport stellt und die Querdynamik per Pedaldruck erhöht. Nun zieht das System die Zügel an und der 4,58 Meter lange und 1,85 Meter breite Stromer scheint auf Kompakt-Pkw zu schrumpfen.
„Keine Einladung zum Driften“
Trotz der stattlichen 2,15 Tonnen Lebendgewicht dribbelt der GTX dem GTI-Vorbild gleich straff und kontrolliert wie ein Sportcoupé durch die Kurven. Immer vorausgesetzt, das Sportpaket Plus (1500 Euro) inklusive Progressivlenkung und adaptive Dämpferregelung sind mit an Bord, verblüfft das ID 4-Topmodell ein ums andere Mal mit seinem guten Handling, indem es per gezielten Bremseingriff ebenso dynamisch einlenkt wie durch millisekundenschnelle Dämpferjustierung Ruhe und Stabilität ins Fahrzeug bringt. Der Allradantrieb und die Mischbereifung (235er vorn und 255er hinten) tragen außerdem zum sicheren wie dynamischen Fahrgefühl bei. Wobei Nando Laumanns betont, dass der Fahrdynamikmanager „keine Einladung zum Driften oder für extreme Kurvengeschwindigkeiten gemacht ist, sondern um Lenkpräzision bei kleinsten Korrekturen auf ganz normaler Landstraßenfahrt herzustellen, getreu der Devise: Fahre ich mit dem Auto oder fährt das Auto mit mir.“
Nun ja, man kann auch beides haben, indem man den ESC-Button auf dem Touchscreen drückt. Die Regelsysteme werden nun auf das Nötigste beschränkt und die Stabilitätskontrolle kappt nicht sofort jede Tendenz zum Übersteuern. Durch das leichte Driften entsteht so der Eindruck eines noch dynamischeren Kurvenverhaltens. VW erlaubt dem GTX die kleinen fahrdynamischen Nettigkeiten, soll es doch schließlich das sportliche Aushängeschild dieser und künftiger Elektro-Baureihen darstellen. In punkto Beschleunigung ist das Kompakt-SUV mit 6,2 Sekunden sogar ein Zehntel schneller als der derzeitige Golf GTI. Die Spitze hingegen wird wie bei allen Elektroautos künstlich begrenzt. Immerhin darf der GTX mit 180 km/h im Gegensatz zu seinen ID 4-Brüdern 20 km/h schneller fahren. Dafür reicht sogar die für ein großes E-SUV vergleichsweise bescheidene Leistung von 220 kW (299 PS) locker aus.
GTI-Zitate finden sich außen wie innen
Doch exzessive Zwischenspurts oder Spitzentempo ausreizen sollte sich ohnehin verkneifen, wer auch nur entfernt die maximalen 480 Kilometer WLTP-Reichweite des 77-kWh-Akku erreichen will. Zumal der GTX die Energie am Schnelllader nur mit maximal 125 kW saugen kann, was im besten Falle 38 Minuten dauert, um wieder 80 Prozent Strom für rund 300 Kilometer Strecke aufzufüllen. An der heimischen Wallbox dauert die komplette Ladung je nach Systemleistung acht bis zwölf Stunden. Das können einige fernöstliche Wettbewerber inzwischen deutlich besser.
GTI-Zitate finden sich natürlich auch in der Optik mit je drei Tagfahrlicht-Karos unter den Matrix-LED-Scheinwerfern. Darunter spannt sich ein großer schwarzer Wabengrill von links nach rechts. Es gibt schwarz gerandete Radläufe und ein ebenso lackiertes Dach. Auch innen haben die Designer versucht, die GTI-DNA zu betonen, etwa mit roten Nähten, dem abgeflachten Lenkrad oder den Play-Pause-Pedalen. Auffälliger sind jedoch die Kunstlederbezüge auf Armaturentafel und Türinnenverkleidung in einem dunklen Blauton, die auch zum Standard gehören und (leider) auch nicht abgewählt werden können. Immerhin zeigen sie an, dass VW die Kritik an dem öden Plastik-Style der bisherigen ID-Modellbrüder aufgenommen und hie und da durch fühlbar hochwertigere Materialien ersetzt hat.
Sportsitze mit integrierten Kopfstützen empfehlenswert
Ansonsten übernimmt der GTX weitgehend Ausstattung und Funktionen der bisherigen ID 4-Versionen, egal ob 5,3-Zoll-Mini-Fahrerdisplay über dem Lenkrad, zentrales 10 (optional 12) Zoll-Touchscreen-Tablet mit intuitiver Kachelbedienung, Head-up-Display mit blendfreien Augmented-Reality-Projektionen direkt auf die Fahrbahn und der LED-Leuchtbandanzeige unterhalb der Frontscheibe – was den Wolfsburgern übrigens besser gelingt als den Ingolstädtern im Technikzwilling Q4 e-Tron. Geblieben sind allerdings auch die merkwürdigen Touchslider für die Lautstärkeregelung und der gewöhnungsbedürftige, weil nicht wirklich intuitive Fahrbetriebwählhebel rechts hinterm Lenkrad.
Auch Platz und Geräumigkeit bleiben im GTX gegenüber den übrigen ID 4-Modellen unverändert. Im Normalzustand steckt das Kompakt-SUV 543 Liter weg, sind die Rücksitzlehnen geklappt, wächst das Volumen auf bis zu 1575 Liter. Zu empfehlen sind die exklusiven Sportsitze mit integrierten Kopfstützen, ausgezeichnetem Seitenhalt und dem Gütesiegel der Aktion Gesunder Rücken (AGR).
Darüber hinaus kann der GTX als eines der wenigen Elektroautos auf dem Markt bis zu 1200 Kilogramm (12 % Steigung, ungebremst) an einen elektrisch ausschwenkenden Haken nehmen. Immer noch nicht viel, aber für einen Pferdetransporter oder Bootsanhänger reicht es in der Regel. Allerdings gibt es für den ID 4 noch keinen Trailer Assist. Der Kunde muss das wuchtige SUV selber rangieren, was jedoch angesichts des kleinwagenähnlichen Wendekreises (11,57 Meter) und der cleveren Rückfahrkamera, die den Kugelkopf beim Rangieren bis unter die Kupplung bugsiert, vergleichsweise einfach zu händeln ist.
Nicht ganz so einfach dürfte für einige der Anschaffungspreis zu stemmen sein. Der ID 4 GTX beginnt nämlich erst ab 50.415 Euro. Dazu lassen sich teilweise erwähnte Design-, Ausstattungs-, Funktions- und Assistenz-Pakete buchen, was den Preis wie unseren Testwagen, locker über die 60.000 Euro springen lässt.
(Quelle: Auto-Medienportal ampnet)