15. Dezember 2021
Fahrbericht Boldmen CR 4: Bitte unbedingt auch fahren!
01/30 – diese Zahlenkombination auf dem Achtgangautomatik-Wählhebel des Boldmen CR 4 sagt alles. Wir sind unterwegs mit der Nummer 1 von 30 Exemplaren der ersten Boldmen-Serie „First Thirty“, die in der Manufaktur in Welden bei Augsburg gefertigt werden. Und wir sind auch die ersten, die den Zweisitzer ausgiebig auf der Straße testen dürfen. Das Ergebnis vorweg: Fahrverhalten, Sound, Material und Verarbeitung sind schlichtweg beeindruckend.
Klar, technisch kann und will der Boldmen nicht verheimlichen, dass eine Menge BMW-DNA im Auto steckt. Hier knüpft Friedhelm Wiesmann, einer der Väter des neuen Roadsters, genau da an, wo er einst mit seiner Manufaktur in münsterländischen Dülmen die Wiesmann-Story begründet hat. Und wie damals hat Handarbeit und Qualität den höchsten Stellenwert. „Wir haben die Zutaten für einen individuellen Roadster der Extraklasse gefunden. Eine neue Karosserie aus Carbon, ein verstellbares Fahrwerk und ein extrem steifes Chassis lassen ein Fahrzeug entstehen, wie es fahrdynamischer kaum sein könnte, mit einer direkten Lenkung, spontaner Leistung und einem sportlichen Sound“, sagt Wiesmann bei der Fahrzeugübergabe. Dabei verweist er auf die intensive Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Gespann von Harald und Michael Käs. Vater und Sohn haben ihre Kompetenz im Automobilbau bereits durch ihr "Everytimer 02 Cabrio", in starker Anlehnung an das legendäre BMW 02 Cabrio, unter Beweis gestellt. Das Cabrio wies eine hohe Detail- und Verarbeitungsqualität auf und hatte eine Karosserie aus hochwertigstem Carbon.
Doch zurück zum Boldmen. Bei den ersten Fahreindrücken bestätigt der Power-Roadster Friedhelm Wiesmanns Lobeshymne. Schon der Sound des Dreiliter-Sechszylinder-Biturbos lässt die sportliche Ausprägung des Wagens mehr als nur erahnen. Nach den ersten zwei, drei scharf angegangen Kurven zeigt sich, dass der Boldmen exakt auf jede noch so kleine Bewegung des Lenkrads reagiert, dabei wunderbar in der vorgegebenen Spur bleibt. Vor allem aber auf feuchtem Untergrund und auf kurvenreichem Terrain sollten die Leistung des Triebwerks, das in diesem Auto satte 408 PS (300 kW) auf die Straße bringt, mit Respekt eingesetzt werden. Sonst könnte sich der Heckantrieb nachdrücklich bemerkbar machen und für einen nicht vorgesehenen Drift sorgen. Auch wenn das Fahrwerk deutlich erkennbare Warnsignale sendet, bevor es soweit kommt.
Generell reagiert der Sechszylinder sehr direkt bereits beim leisesten Druck aufs Gaspedal, katapultiert das gerade einmal 1495 Kilogramm leichte Gefährt mit Vehemenz nach vorn. Der Sprint aus dem Stand auf Tempo 100 erfolgt laut Datenblatt in 3,9 Sekunden, in der Spitze wird bei Tempo 250 elektronisch abgeregelt. Der kombinierte Verbrauch ist mit 7,2 Litern laut WLTP-Norm angegeben. Ein Wert, der in der Praxis wohl nie zu erreichen sein dürfte. Wir hatten nach der knapp zweistündigen Fahrt über Landstraßen, einer relativ freien Autobahn (jeweils etwa gleicher Anteil) und ein klein wenig Stadtverkehr 12,7 Liter auf der Anzeige. Das kommt der Realität deutlich näher.
Das Fahrwerk kann per Knopfdruck zwischen Komfort und Sportlichkeit abgestimmt werden. Wer es gern etwas härter mag, wählt die entsprechende Sporteinstellung. Gleichwohl lässt sich der 4,42 Meter lange, 1,93 Meter breite und 1,28 Meter hohe Roadster im Comfort-Modus selbst von ramponierten Asphaltabschnitten kaum beeindrucken. Schläge und und Stöße werden weitestgehend geschluckt. Und einerlei bei welchem Tempo – bis auf das Röhren der Maschine dringen kaum Geräusche in den Innenraum. Die Dämmung des elektrisch bedienbaren Stoffdachs ist bestens.
Das gilt ebenfalls für die äußerst exakt ausgeführten Anschlüsse an den Fenstern. Fugen sind so gut wie Fehlanzeige. Bei den Spaltmaßen hätte sogar Ferdinand Piëch applaudiert. Die Fertigungsqualität des Boldmen CR 4 ist enorm hoch – und setzt sich im Innenraum fort. Hier kommen feinste Materialien wie Leder und Alcantara zum Einsatz. Alles wirkt edel, luxuriös. Da lässt es sich leicht verschmerzen, dass Anzeigen, Monitore, Schalter und die entsprechende Elektronik wie eben auch der Motor von BMW stammen. Hier eine Eigenentwicklung anzustreben wäre für die Boldmen GmbH, wie einst auch für Wiesmann, einfach zu kostspielig gewesen.
Ein echtes Schmankerl indessen ist die Art der Gestaltung des B-Logos für Boldmen, das unter anderem auf den Naben der Felgen (18-Zoll-Aluräder im Fünfspeichen-Design mit 255/40er Pneus vorn und 275/40er Walzen hinten) sowie in der Mitte des Lenkrads zu sehen ist. Mit einer Vierteldrehung verwandelt sich das B ein in W. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Noch ein paar Worte zur komplett aus Carbon geformten Karosserie. Auf der Motorhaube fallen zwei extrem scharf gezogene Sicken auf, die wuchtigen Seitenschweller unterstreichen die muskulös ausgeformten Radhäuser. In der Front fallen die LED-Scheinwerfer mit den punktuellen Lichtquellen sowie der relativ aufrecht stehende Grill ins Auge. Das Heck wird dominiert von Doppel-Endrohren beiderseits des Diffusors, den Scheinwerfern nachempfundenen Rücklichtern und den beiden Sicken, die sich quasi als Verlängerung der vorderen über die Kofferraumklappe ziehen.
Handgefertigte individuelle Einzelstücke in Verbindung mit Luxus, Extravaganz und Leistung haben selbstverständlich ihren Preis. Und der liegt beim Boldmen CR 4 für die First Edition bei mindestens 185.000 Euro. Zur Serienausstattung zählen dann unter anderem Außenspiegelkappen, Schweller, Blades und Heckdiffusor in Sicht-Carbon, ein adaptives Fahrwerk, Sportbremsanlage und -differenzial. Sportsitze, Türverkleidungen, Mittelkonsole, Getriebetunnel und diverse Leisten sind in Leder, A-Säule, Dachfrontblende und Sonnenblenden in Alcantara ausgeschlagen. Auch eine Klimaanlage und Freisprecheinrichtung mit USB-Schnittstelle, Tempomat mit Bremsfunktion, zentraler 8,8 Zoll-Farbbildschirm mit Touchfunktion, analoge Instrumentenkombination mit 5,7 Zoll-Display und Radio sind mit an Bord.
„Wir bringen eine neue Marke auf den Markt, aber wir sind kein Start-up“, rechtfertigt Friedhelm Wiesmann den hohen Preis. „Wir definieren uns als Manufaktur und bringen ein hohes Maß an Wissen über Automobile und Fertigungstechniken aus langjährigen Erfahrungen mit. Die hohen Kosten der Entwicklung und des Produktionsprozesses bei gleichzeitig kleinen Stückzahlen führen zu einem höheren Preis als in der Massenfertigung.“ Keine Frage, nach den exklusiven Fahreindrücken steht fest: Der Boldmen CR 4 wird – wie schon damals die Wiesmann-Modelle – seine Käufer finden. Und für die sollen mittelfristig zwischen 30 und 40 Servicepoints in Deutschland aufgebaut werden.
(Quelle: Auto-Medienportal ampnet)